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Alleinerziehende - von der Gesellschaft im Stich gelassen

Alleinerziehende Mutter
© fizkes / Shutterstock
Egal, ob es um Gesetze, Geld und Gerechtigkeit geht - alleinerziehende Mütter werden von der Gesellschaft regelmäßig vergessen und verraten. Ein Skandal, findet BRIGITTE.

Die Sonne scheint durch die Fenster des Altbaus. Chromglänzende Stühle stehen auf dem Holzfußboden. An den Wänden hängen Acrylbilder in Rot und Pink - und das Bild von einem dicken braunen Pferd. "Das hat meine Tochter gemalt." Nicole Lübbe, 30 Jahre alt und Geschäftsführerin einer Kölner Werbefirma, nimmt das Bild in die Hand. Eigentlich könnte sie zufrieden lächeln, sie hat ihre Sophie und einen interessanten Beruf. "Seit neun Jahren habe ich ein Riesenproblem", sagt Nicole Lübbe. "Ich bin alleinerziehend."

Ihre Tochter war vier Monate alt, als ihre damalige Beziehung auseinanderbrach. Seitdem schlägt sich Nicole Lübbe solo mit Sophie durchs Leben. Es ist ein Ringen um die Betreuung ihrer Tochter, mit Kitas, die schon um 16 Uhr schließen, mit Au-pair- Mädchen, die von heute auf morgen ihren Job hinschmeißen, mit Schulen, die Kinder einfach nach Hause schicken, wenn eine Lehrerin krank ist. Es ist ein Kampf mit Chefs, die Mitarbeiter gern bis abends um acht am Schreibtisch sehen oder ohne Ankündigung auf Dienstreise schicken, auch wenn zu Hause ein Kind wartet. Es ist die ständige Sorge, sich irgendwie Zeit zu stehlen für Sophie, für ein gemeinsames Abendbrot, für eine Stunde Kuscheln und Erzählen. Und stets ein schlechtes Gewissen, weil immer etwas zu kurz kommt. In den ersten Jahren als Werberin ist sie vor lauter Stress mehrmals zusammengebrochen. Im Krankenhaus wachte Nicole Lübbe wieder auf. "Ich habe eine Zeit lang überlegt, Deutschland zu verlassen, weil die Situation für Alleinerziehende hier so schwierig ist."

Ein Szeneviertel im Hamburger Westen. Galerien, Schmuckläden, Restaurants in Gründerzeithäusern. In einer ruhigen Seitenstraße ein schlichter Würfel, sozialer Wohnungsbau, im dritten Stock Katja Schepanskis* Zuhause. Felix* kommt zur Tür herein, seine Cordjacke fliegt an die Garderobe. Die Mutter streicht ihm über den Kopf: "Felix ist das Beste, was ich habe." Nur dieses Gefühl, ihn in Armut aufwachsen zu sehen, das ist schwer zu ertragen. Die Grübelei, wenn der Zwölfjährige ein Geschenk für eine Geburtstagsparty braucht. Oder seine Jacke in der Schule verschwunden ist . . . Seit Felix auf der Welt ist, schrammt die kleine Familie am Existenzminimum entlang. Das zerrt an den Kräften, das beschädigt die Würde. "Ja, es geht uns schlecht", gesteht die 33-Jährige, von Beruf Erzieherin. Jetzt bleiben ihr nach Abzug der Kosten für Miete, Strom und Monatskarte noch rund 500 Euro zum Leben. Dieser Betrag hat einen Namen: Hartz IV.

Alleinerziehend zu sein ist in Deutschland längst keine Seltenheit mehr. 2,2 Millionen Single-Mütter ziehen ihre Kinder ohne Partner auf. Jede fünfte Familie mit Kindern besteht aus nur einem Elternteil, zu 87 Prozent Frauen. 17 Prozent aller Kinder zwischen drei und zwölf Jahren leben in einer Kleinstfamilie, so eine Studie von World Vision zurSituation vonKindern inDeutschland. In Großstädten stammt in manchen Grundschulen die Hälfte der Kinder aus Einelternfamilien. Und es werden immer mehr. Seit 1996 ist die Zahl der Alleinerziehenden in Westdeutschland um 25 Prozent gestiegen. Fast allen ist etwas gemeinsam: Sie haben viele Probleme - und sie werden mit ihren Problemen allein gelassen.

Katja Schepanski hat eigentlich alles richtig gemacht, seit sie bei ihren Eltern ausgezogen ist. Sie hat nach der Schule ein soziales Jahr absolviert, dann eine Erzieherinnenfachschule besucht und in verschiedenen Kindergärten gearbeitet. Nur dass sie mit 21 Jahren ihren Sohn bekommen hat und ihr damaliger Freund zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um ein Kind zu wollen, das hat sie an den Rand der Gesellschaft katapultiert. Als Felix acht Monate alt war, brachte sie ihn zur Tagesmutter, um ihre Ausbildung zu beenden. Trotzdem hat sie nie einen festen Job bekommen. Bei Vorstellungsgesprächen hieß es: "Wer passt auf, wenn das Kind krank ist?" Mit befristeten Jobs und Teilzeitarbeit hat sie sich durchgehangelt, mit ergänzender Sozialhilfe und Wohngeld.

Katja Schepanski ist kein Einzelfall. "Alleinerziehende werden von Arbeitgebern diskriminiert", stellt Christoph Butterwegge, Politologe an der Uni Köln, fest. "Ihre Bewerbungen werden von Personalchefs aussortiert, und sie gehören zu den Ersten, die ihre Arbeit verlieren, wenn eine Firma in eine Schieflage gerät." Auch vom Aufschwung der Wirtschaft profitieren Alleinerziehende kaum, sagt Armutsforscher Butterwegge. Die Hälfte aller Alleinerziehenden ist immer wieder von Arbeitslosigkeit betroffen, und 24 Prozent sind nur geringfügig beschäftigt, so ein weiteres brisantes Ergebnis der Kinderstudie von World Vision. "Selbst gut ausgebildete Frauen finden keine Arbeit oder haben zeitlich befristete Jobs weit unter ihrer Qualifikation", sagt Martina Krahl vom Verein "Selbsthilfe-Initiativen Alleinerziehender" (SHIA) in Berlin. Wie schlecht es um die Chancen dieser Mütter auf dem Arbeitsmarkt steht, zeigt auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit:

Danach beziehen Alleinerziehende in der Regel deutlich länger Hartz IV als Kinderlose. Es fehle an der sozialen Infrastruktur, welche die Betreuung der Kinder sichere, kritisiert Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Die Folgen für Mütter und ihre Kinder sind verheerend. Die Armutsquote von Alleinerziehenden ist mehr als dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt, fast 40 Prozent sind armutsgefährdet: In den Einelternfamilien sind vier von zehn Kindern mittellos, in Familien mit zwei Erwachsenen sind es nur vier von hundert."Kinderarmut istMütterarmut", sagt Experte Christoph Butterwegge. Ein Skandal, kaum bemerkt von der Öffentlichkeit. "Ich fühle mich unsichtbar", sagt Katja Schepanski. "Wahrscheinlich, weil wir ja irgendwie funktionieren."

Nach ihrem letzten Zusammenbruch hatte Nicole Lübbe angefangen, darüber nachzudenken, wie sie dem "grausamen Druck" entgehen kann aus "Wie schaffe ich meinen Job?" und "Komme ich rechtzeitig nach Hause?" oder "Wo kann Sophie heute Abend bleiben?". Vor drei Jahren hat sie begonnen, freiberuflich zu arbeiten, seit einem Jahr besitzt sie ihre eigene Firma mit acht Mitarbeitern. Nun kann sie immerhin selbst bestimmen, wann sie auf Dienstreisen geht und ob sie ihre Arbeit im Büro erledigt oder zu Hause, wenn die Tochter schläft. Dennoch: Ihr Leben bleibt schwierig.

Die Werberin würde gern mal mit Ursula von der Leyen sprechen. "Schön", würde sie der Familienministerin dann sagen, "dass Sie eine garantierte Kleinkindbetreuung durchgesetzt haben. Aber was nützt mir das für meine Neunjährige? Wo ist der Hort, dessen Öffnungszeiten mit den Arbeitszeiten einer Werbefrau vereinbar sind? Wo sind die Ferienprogramme, die die 12 Wochen Schulferien überbrücken helfen?" Nicole Lübbe ist frustriert: "Deutschland ist ein absolutes Entwicklungsland."

Viele Alleinerziehende haben die Entscheidung selbst getroffen, sich vom Partner zu trennen oder ein Kind zu bekommen, obwohl es keinen verlässlichen Vater dazu gibt. Fast alle sagen: "Es ist schwerer, als ich dachte." Peggi Liebisch, Geschäftsführerin vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter, weiß: "Die ersten zwei Jahre sind die härtesten." Danach haben sich die meisten Frauen daran gewöhnt, die täglichen Anforderungen allein zu stemmen. Und sie haben gelernt zu verzichten. Auf einen Freund, weil keine Zeit und keine Energie mehr übrig ist für eine Beziehung. Auf eine schöne Wohnung, auf Urlaub, auf Kino oder Restaurantbesuche, weil das Geld dafür nicht reicht. Geldmangel, Zeitmangel, Energiemangel, Männermangel. Und immerzu ein schlechtes Gewissen. Eigentlich ist es eine Überforderung, in dieser Gesellschaft Kinder ohne Partner aufzuziehen. Doch die Frauen schaffen es, irgendwie. Zu einem hohen Preis.

"Das Schlimmste", sagt Anne Egerer*, "sind die Wochenenden, wenn mir so trüb wird. Dann hoffe ich, dass meine Tochter schnell groß wird und das Leben wieder anfängt." Anne Egerer wohnt in einem Dorf in Bayern - 4000 Einwohner, eine Pfarrkirche mit prächtig geschnitztem Chorgestühl, Häuser mit ausladenden Dächern, umgeben von Wald, am Horizont die Berge. Seit achteinhalb Jahren lebt sie allein mit ihrer heute neunjährigen Tochter Corinna*. Anne Egerer ist ein Fremdkörper zwischen den Vater-Mutter-Kind-Familien im Ort, sie kämpft mit der Einsamkeit. Auch im Beruf ist es schwierig, es ist die klassische Geschichte: keine Kinderbetreuung, kein ordentlicher Job. In der Altenpflege, ihrem gelernten Beruf mit Schichten fast rund um die Uhr, kann sie nicht mehr arbeiten - sie muss zu Hause sein, wenn ihre Tochter aus der Schule kommt.

Anne Egerer jobbt als Familienhelferin auf Zuruf, wenn eine Mutter krank ist und Unterstützung im Haushalt braucht. 450 Euro netto bringt ihr das ungefähr ein, mit dem Unterhalt vom geschiedenen Mann für Corinna und dem Wohngeld kommt sie gerade über die Runden. "Womit habe ich das verdient?", fragt sich die 47-Jährige manchmal, wenn der Hunger nach unbeschwerten Stunden, nach Freunden, nach Leben in ihr aufsteigt. Sie versucht durchzuhalten, der Tochter nicht ihre Mutlosigkeit zu zeigen - sie will eine gute Mutter sein.

Kein Wunder, dass der Druck, der auf Solo-Müttern lastet, in eine seelische Krise führen kann. "Alleinerziehende sind doppelt so häufig von psychischen Erkrankungen betroffen wie verheiratete Frauen", sagt Gudrun Neises, Ärztin und Professorin für Gesundheitsmanagement an der Europa-Fachschule Fresenius. Fast jede vierte Alleinerziehende trifft es irgendwann in ihrem Leben - vor allem an Depressionen, aber auch an Angst- oder Schlafstörungen leiden dann die Frauen.

Mit manchmal fatalen Folgen für den Nachwuchs. Das mag man kaum aussprechen, weil es traditionalistischen Vorurteilen Futter gibt: denen, die meinen, na, da sieht man es wieder, nur in einer richtigen Familie ist der Nachwuchs gut aufgehoben. Und: Nur wenn der Vater da ist und den Kindern Grenzen setzt, werden diese zu tüchtigen Mitgliedern der Gesellschaft.

Tatsächlich ist die traurige Wahrheit, dass Einelternfamilien, allein gelassen von der Gesellschaft, mehr Probleme zu bewältigen haben. Und damit manchmal schlichtweg überfordert sind. "Kinder Alleinerziehender haben ein deutlich erhöhtes Risiko einer Verhaltensstörung", sagt Matthias Franz, Professor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universität Düsseldorf, der sich mit der Situation von Kindern in Einelternfamilien befasst.

Wenn sich eine Mutter im Alltag dauerhaft am Ende ihrer Kräfte fühlt, fällt es ihr womöglich schwer, die Kleinen zu trösten, zu beruhigen, ihnen Wärme und Verständnis zu geben. Das spüren Kinder natürlich. Mädchen verkriechen sich dann häufig in sich selbst, Jungs werden aggressiv, beide leiden unter Konzentrations- und Lernstörungen. Kinder und Jugendliche aus Einelternfamilien haben zudem, wie schwedische Forscher herausfanden, doppelt so häufig Probleme mit Alkohol und dreimal so häufig Probleme mit Drogen. Jungs werden öfter auffällig als Mädchen.

Um Himmels willen, mag manche alleinerziehende Mutter denken. Muss ich mich zur alltäglichen Plackerei auch noch mit solchen Sorgen und Schuldgefühlen plagen? Experte Franz beruhigt: "Ein Kind, das in einer Einelternfamilie aufwächst, muss keineswegs Schäden davontragen. Entscheidend ist die Beziehungsgüte zwischen Mutter und Kind."

Und dafür geben die meisten Alleinerziehenden alles. Wie Katja Schepanski. Sie hat eine gute Schule für ihren Sohn ausgesucht, ihn im Fußballverein angemeldet - für sich selbst findet sie Sport zu teuer. Abenteuergeburtstage im Park, DVD-Abende für Felix und seine Freunde, Katja Schepanski denkt sich immer wieder Aktivitäten aus, die wenig kosten. Die schlechten Zeiten haben Mutter und Sohn zusammengeschweißt.

Doch es gibt auch Situationen oder Phasen, in denen eine Mutter sich einfach überfordert fühlen kann. Sich nicht mehr in der Lage sieht, alle wichtigen Entscheidungen allein zu treffen. Dafür hat der Psychologie- Professor Matthias Franz in Nordrhein-Westfalen das Palme-Projekt gegründet: ein Programm, in dem Single-Mütter maßgeschneiderte Hilfe in der Krise finden. Angeboten wird das Elterntraining in Kindertagesstätten, es umfasst 20 Sitzungen. Die Frauen lernen, wieder Tritt zu fassen. Damit sie zu ihren Kindern und zu sich selbst finden. Ein Modell, das Schule machen könnte: "Wir erzielen sehr positive und nachhaltige Effekte", sagt Matthias Franz.

Und was ist mit den Vätern? Natürlich gibt es Männer, die sich um ihre Kinder kümmern. Und es gibt gute PR für einige wenige, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, doch von der Ex gehindert werden. Fakt ist: Die Hälfte der Kinder verliert ein Jahr nach der Trennung endgültig den Vater. Der Kontakt bricht ab. Auch finanziell gibt's wenig Unterstützung: Zwei Drittel aller geschiedenen Väter können oder wollen nicht zahlen. "Wenn man Kinder hat, ist eine Trennung ein Lebensthema", sagt Nina Petri. Die Schauspielerin ist seit zehn Jahren Solo- Mutter. Ihre Zwillingstöchter Moema und Papoula, 13, sehen ihren Vater zehn Tage im Monat, so wie es das Gericht festgelegt hat. "Natürlich sollen die Kinder Kontakt haben zu ihrem Vater", sagt sie. Aber das ist schwer zu organisieren, wenn man sich gegenseitig ablehnt. Die Schauspielerin hat komplizierte Arbeitszeiten, der Ex war nie bereit, "seine" Kindertage auf ihre berufliche Situation abzustimmen. Das macht bitter, zumal er keinen Cent für die Kinder zahlt. "Die psychischen Belastungen sind das Schwierigste", gesteht Nina Petri, "neben dem komplizierten Alltag."

Wenn Eltern persönliche Kränkungen und finanziellen Streit mit der Frage vermischen, wer sich wie um die Kinder kümmert, wird es tragisch. Um das zu vermeiden, wäre es wichtig, Eltern in der Trennungsphase zu begleiten, meint Bettina Eichblatt, Leiterin einer Elternschule in Hamburg-Osdorf. Die Sozialpädagogin - selbst eine alleinerziehende Mutter - bietet in der Elternschule Beratungen an, die Frauen und Männer unterstützen, Gefühle zu klären, Verständnis für die Kinder zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. "Wenn ein Paar es schafft, glimpflich durch die Trennung zu kommen, erhöht es die Chancen, dass der Vater einen guten Kontakt zu den Kindern behält."

Immerhin etwas hat sich geändert: Kinder ohne Partner aufzuziehen ist kein Makel mehr. Und immer mehr Frauen wehren sich. So hat Filomena Iannacone, Ex-Partnerin von TV-Star Gedeon Burkhard und Mutter seiner dreijährigen Tochter, öffentlich Dampf abgelassen. Sie war wütend, dass der Schauspieler sich im Fernsehen und in Magazinen als liebevoller Vater verkauft, aber nur höchst sporadisch im Leben seiner Tochter auftaucht. Auch die Mutter von Gloria, der nichtehelichen Tochter des CSU-Politikers Markus Söder, beklagte sich in einem Interview, dass der Papa nur alle drei, vier Monate ein paar Stunden mit seiner Kleinen verbringt. Und die langjährige heimliche Geliebte Horst Seehofers hat sich gleichfalls mit ihrem Baby selbstbewusst in die Öffentlichkeit getraut.

In der Mitte der Gesellschaft aber sind Alleinerziehende noch nicht angelangt. "Der Staat ist immer noch auf das Modell des männlichen Ernährers fixiert", sagt Politologe Christoph Butterwegge. Besonders krass fällt das auf bei einem Blick auf das Abgabensystem. Alleinerziehende werden fast wie Singles besteuert. "Verdient eine alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern weniger als 1400 Euro brutto, lohnt sich die Berufstätigkeit nicht", hat der OECD-Ökonom Herwig Immervoll ausgerechnet - Steuern, Sozialabgaben und Kinderbetreuungskosten sind zu hoch. Auch wenn eine Single-Mutter mit zwei kleinen Kindern mehr verdient, lohnt sich das Arbeiten kaum: Bei einem Bruttolohn von 2300 Euro hat sie rund 230 Euro mehr im Portemonnaie, als wenn sie von staatlicher Unterstützung leben würde. Kein Wunder, dass zwei Drittel der Alleinerziehenden unzufrieden mit ihrer Lebenssituation sind, wie die Sozialwissenschaftlerinnen Dagmar Brand und Veronika Hammer herausgefunden haben. Einelternfamilien bilden das Ende einer Kette aus Benachteiligungen und Diskriminierungen von Frauen und Kindern.

"Wir müssen ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem Elternschaft und Erwerbstätigkeit nicht als Gegensatz erscheinen", fordert Anneli Rüling, Wissenschaftlerin am Institut für sozialwissenschaftlichen Transfer in Berlin. Bis dahin brauchen vor allem Solo-Mütter viel Energie und Unterstützung, um den Kopf oben zu behalten - und erst recht, um an die Spitze zu kommen.

Sabine Becker ist eine, die es geschafft hat. Seit drei Jahren ist sie Bürgermeisterin in Meersburg am Bodensee. Für ihre Töchter Nuria, 11, und Noelle, 10, ist sie trotzdem da. "Ein Kraftakt", sagt die 42-Jährige, "aber in meinem Job bin ich flexibel." Die Juristin organisiert ihre Termine um ihre Kinder herum, ist zum Frühstück und Mittagessen fast immer zu Hause und nimmt die Töchter öfter auf Wochenend-Termine mit. Doch ohne Netzwerk würde das nicht klappen: Die Mutter und eine Freundin passen auf die Kinder auf, sonst wären 14-Stunden-Tage nicht zu wuppen. Sie wünscht sich, dass sie etwas bewegen kann in den fünf Jahren, die ihr noch in Meersburg bleiben - als Bürgermeisterin und als Alleinerziehende. "Ich hoffe, ich kann ein Zeichen setzen", sagt Sabine Becker. Ein Zeichen, dass es besser wird für alle alleinerziehenden Mütter.

Wie sieht der Alltag einer Alleinerziehenden aus? Zehn Mütter berichten

Marion Hulverscheidt, 34, Ärztin und Wissenschaftlerin, und Antonia, 7: "Ich musste meinen Traumberuf als Forscherin aufgeben. Eine wissenschaftliche Karriere in Deutschland bedeutet befristete Verträge und schlechte Bezahlung. Jetzt arbeite ich wieder als Ärztin, mit festen Arbeitszeiten und besserem Einkommen."

Nina Petri, Schauspielerin, und die Zwillinge Moema und Papoula, 13: "Natürlich sollen die Kinder Kontakt zu ihrem Vater haben. Aber das ist schwer zu organisieren, wenn man sich gegenseitig ablehnt. Die psychischen Belastungen sind das Schwierigste - neben dem komplizierten Alltag.

Nadine Keller, 32, Krankenschwester und Studentin, und Leosch, 3: "Es stresst mich, ständig zu switchen: Geld verdienen als Krankenschwester, Prüfung im Studium, und in der Kita hat sich dann zum Beispiel der Sohn mal eben ein Taschentuch in die Nase gebohrt. Also, wieder alles stehen und liegen lassen, schnell mit ihm zum Arzt . . ."

Gaby Köster, 46, Comedian, Donald, 14: "Es ist super schwer, alleinerziehend zu sein. Wenn ich meine Mutter nicht hätte, dann hätte ich ein richtiges Problem. Sie kommt, wenn ich Auftritte habe, und ich fahre fast immer nachts noch nach Hause, und sei es noch von Berlin nach Köln. Und wenn ich mal frei habe, bin ich abends um neun in der Klappe."

Rebecca Reinhard, 31, lebt von Hartz IV, Jana, 10: "Weil ich nicht ganztags arbeiten konnte, verlor ich vor zwei Jahren meine Arbeit als Hotelfachfrau. Die Folge war ein Totalzusammenbruch, ich musste stationär behandelt werden und bin nun zwar noch in Therapie, aber wieder stabil. Meine größte Sorge ist, dass mein Kind unter meiner Krankheit leidet. Es gibt viele Alleinerziehende mit ähnlichen Problemen, aber leider ist das ein großes Tabu. Für sie müsste es Hilfe geben."

Gonca Hoyraz, 21, Studentin, und Berkay, 2: "Ich wünsche mir eine eigene Wohnung für mich und meinen Sohn. Zur Zeit leben wir mit meinen Eltern und meinem Bruder in einer 2,5-Zimmer-Wohnung. Berkay und ich bekommen 125 Euro Unterhaltsvorschuss und unser Kindergeld."

Michaela Steffan, 42, Software-Ingenieurin, Philip, 18, und Patricia, 15: "In meiner Bewerbungsphase bekam ich viele Absagen ohne Begründung. Ich hatte das Gefühl, dass mein Familienstand dabei eine Rolle spielte. Zum Glück habe ich jetzt einen guten Job."

Monika Fischer, 46, Heimleiterin, Marc, 16, und Viola, 11: "Eine für alle verpflichtende Ganztagsschule, in der auch die Hausaufgaben vernünftig gemacht werden, wäre toll. Denn nur so hätten alle Kinder gleiche Bedingungen."

Kerstin Müller, 44, Bundestagsabgeordnete und außenpolitische Sprecherin der Grünen, Franka, 1: "Mein Problem ist vor allem die Zeit, denn als Politikerin bin ich in der Regel 60 Stunden volle Power gefordert. Zudem pendele ich, immer mit Franka, zwischen meinem Wahlkreis Köln und dem Bundestag in Berlin. Trotz Kita-Platz und Kinderfrau in Berlin sowei hohem Einsatz der Großeltern in Köln ist das nur mit viel Kraft zu organisieren. Trotz alledem - das gemeinsame Leben zu zweit ist wunderbar und Franka ein großes Glück."

Yasemin Akcaglar, 35, Hartz IV, Keanu, 5 Monate: "Mein Sohn ist herzkrank geboren, und vor Kurzem musste das Loch in seinem Herzen in einer Not-OP geschlossen werden. Ich saß allein mit meiner Angst im Krankenhaus und dann zu Hause vor dem Telefon. Ich habe mir so gewünscht, dass mich mal jemand in den Arm nimmt und tröstet."

Protest: Unser Brief an Ursula von der Leyen!

Ein Brief an die Familienministerin im Namen von 2,2 Millionen Frauen

Nicht vergessen, Frau von der Leyen!


Geldsorgen, Zeitmangel, Vereinsamung, Probleme bei der Kinderbetreuung und schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt: Alleinerziehende müssen in allen Lebensbereichen kämpfen. Sie werden vom Staat im Stich gelassen. Mit ihnen leiden ihre Kinder. Für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit fordern wir: BETREUUNG Speziell für Alleinerziehende: Deutschland braucht endlich zusätzliche Angebote die Kinderbetreuung - auch außerhalb der normalen Öffnungszeiten.

GELD Steuer-Entlastung: Der mickrige Freibetrag von 1308 Euro muss auf 7664 Euro im Jahr (entsprechend dem Grundfreibetrag eines Ehepaares mit einem Alleinverdiener) erhöht werden. - Unterhalt: Väter, die nicht zahlen, müssen entschiedener verfolgt und bestraft werden. - Qualifizierung: Alleinerziehende Mütter brauchen kostenlose Angebote für Wiedereinstieg und berufliche Weiterbildung.

RESPEKT - Hilfreiche Nachbarschaft: Mehr Wohnprojekte müssen öffentlich gefördert werden. - Beratung in der Krise: Beratungsangebote, auch online, müssen ausgebaut werden. 6146 Frauen haben diesen Brief unterschrieben. Wie Ursula von der Leyen auf die Forderungen reagierte, lesen Sie hier.

Dossiertalk: Und was haben Sie erlebt?

Fühlen Sie sich als Alleinerziehende auch von der Gesellschaft im Stich gelassen? Tauschen Sie sich mit anderen BRIGITTE-Leserinnen aus im Forum DossiertalkUrsula von der Leyen: "Alleine... (567678)

BRIGITTE Heft 03/07 Text: Astrid Joosten Protokolle: Eva Meschede Fotos: Odile Hain

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